
Sehr geehrte Damen und Herren,
Aufgrund der aktuellen Verschärfung der EU-Sanktionen gegen Russland und Belarus informieren wir Sie über die neuen Regeln, die viele Unternehmen betreffen. Noch immer werden in russischen Raketen, die in der Ukraine einschlagen, regelmäßig westliche Bauteile gefunden. Daher verpflichtet die EU nunmehr Unternehmen, in Verträgen mit Kunden außerhalb der EU für bestimmte Güter eine sogenannte „No Russia / No Belarus Clause“ („NRB Clause“) aufzunehmen. Eine NRB Clause ist eine Vertragsklausel, die den Reexport von bestimmten Gütern nach Russland bzw. Belarus verbietet und dem Kunden im Fall eines Verstoßes bestimmte Vertragsstrafen androht.
Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Der Anpassungsbedarf ist gewaltig. Aus unterschiedlichen Unternehmen hören wir, dass ihre Rechtsabteilungen bereits mit Hochdruck die Vertragsänderungen mit ihren Kunden verhandeln. Die Umsetzungsfristen sind entweder bereits abgelaufen oder laufen in Kürze aus (spätestens 19. Dezember 2024). Beim Austausch mit unseren Kollegen in deutschen Wirtschaftskanzleien hat uns hingegen überrascht, wie wenig diese Gesetzesänderung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen ins Bewusstsein der Berater gedrungen sind.
- Hintergrund und rechtlicher Rahmen
Die Europäische Union hat mit dem zwölften Sanktionspaket den Artikel 12g in die Verordnung (EU) Nr. 833/2014 eingefügt. Diese Maßnahme ist Teil einer zunehmend strengeren Sanktionspolitik der EU, die darauf abzielt, Umgehungsversuche effektiver zu unterbinden.
Dieser Artikel verpflichtet EU-Unternehmen, in Verträgen über den Verkauf, die Lieferung oder Ausfuhr bestimmter Güter an Drittländer eine „No Russia Clause“ aufzunehmen, die den Reexport dieser Güter nach Russland verbietet. Kurze Zeit später wurde eine entsprechende Verpflichtung mit Art. 8g VO 765/2006 auch für Belarus eingeführt. Lieferungen an bestimmte Partnerländer außerhalb der EU, die auf einer sog. „Whitelist“ aufgelistet sind, sind hiervon ausgenommen.
Die EU-Kommission hat im Rahmen eines FAQ-Dokuments eine Musterklausel zur Verfügung gestellt, die jedoch bislang nur auf die Sanktionen gegen Russland, nicht auch gegen Belarus, zugeschnitten ist.
- Welche Güter und Leistungen sind betroffen?
Eine NRB Clause ist erforderlich für Verträge über den Verkauf, die Lieferung, die Verbringung sowie die Ausfuhr von Gütern, die in den Anhängen XI, XX, XXXV und XL der VO 833/2014 sowie in Anhang I der Feuerwaffen-Verordnung (EU) Nr. 258/2012 gelistet sind.
Betroffen sind vor allem folgende Güterkategorien:
- Luft- und Raumfahrzeuge sowie Teile davon
- Flugturbinenstoffe und Kraftstoffadditive
- bestimmte Rohöl- und Erdölerzeugnisse
- Elektronikteile und -komponenten wie Halbleiter
- Navigationsinstrumente
- Kugellager
- Sende- oder Empfangsgeräte für Töne, Bilder oder Daten
- Feuerwaffen und Munition
Gleichsam verboten ist die Erbringung technischer Hilfe, Vermittlungsdiensten oder Finanzhilfen, sowie die Übertragung von Eigentums-, Nutzungs- und Patentrechten sowie Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Zusammenhang mit diesen Gütern.
Es ist wahrscheinlich, dass die Liste der betroffenen Güter in Zukunft erweitert wird. Unternehmen sollten daher die Entwicklungen in diesem Bereich aufmerksam verfolgen und idealerweise dem Gesetzgeber, soweit wie absehbar, einen Schritt voraus sein.
- Pflichten für Unternehmen
Unternehmen, die Geschäfte mit Nicht-EU-Ländern außerhalb der Whitelist tätigen, unterliegen folgenden Verpflichtungen
- NRB Clause einfügen: Die NRB Clause muss in alle relevanten Verträge integriert werden. Für Verträge, die ab dem 19. Dezember 2023 abgeschlossen wurden, gilt die Verpflichtung bereits seit dem 20. März 2024; für ältere Verträge besteht eine Übergangsfrist bis zum 19. Dezember 2024.
- Angemessene Abhilfemaßnahmen vereinbaren: Die Verträge müssen Maßnahmen enthalten, die bei einem Verstoß gegen die Klausel ergriffen werden können, beispielsweise Vertragsstrafen oder Kündigungsrechte.
- Meldung von Verstößen: Wenn Unternehmen Kenntnis von einer Verletzung der Klausel erlangen, sind sie verpflichtet, die zuständigen Behörden (in Deutschland das BAFA) unverzüglich zu informieren.
- Was droht Unternehmen, die keine NRB Clause in Verträge aufnehmen?
Unternehmen, die die NRB Clause nicht in ihre relevanten Verträge aufnehmen, gehen erhebliche Risiken ein:
- Ordnungswidrigkeiten und Strafrecht: Obwohl das Fehlen der Klausel selbst derzeit nicht ausdrücklich sanktioniert ist, können Unternehmen haftbar gemacht werden, wenn ihre Güter nach Russland oder Belarus gelangen und dadurch EU-Sanktionen umgangen werden.
- Geschäftsführerhaftung: Bei Verstößen drohen auch persönliche Haftungsrisiken für die Geschäftsführung.
- Vertragsrechtliche Folgen: Ohne wirksame Klausel könnten Ansprüche auf Schadensersatz oder Vertragsstrafen entfallen, wenn der Kunde Güter vertragswidrig reexportiert. Umgekehrt bleibt der Lieferant weiter zur Lieferung an den vertragswidrigen Kunden verpflichtet, wenn er sich kein Kündigungsrecht vorbehalten hat.
Es ist zu erwarten, dass Verstöße gegen diese Verpflichtung in Zukunft strenger geahndet werden. Daher sollten Unternehmen proaktiv handeln, um rechtliche Risiken zu minimieren.
Die Russland-Sanktionen der EU gelten unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat. Das ordnungswidrigkeiten- und strafrechtliche Sanktionsregime für Zuwiderhandlungen liegt allerdings im Kompetenzbereich des jeweiligen Mitgliedsstaates.
Ordnungswidrigkeiten gem. AWV oder Straftaten gem. AWG?
Im deutschen Recht finden sich die relevanten Ordnungswidrigkeiten in den §§ 81, 82 der Außenwirtschaftsverordnung (AWV). § 81 AWV regelt hierbei Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit Verstößen gegen die AWV selbst, § 82 AWV Ordnungswidrigkeiten aufgrund von Verstößen gegen Rechtsakte der Europäischen Union.
Die relevanten Straftatbestände finden sich in § 80 AWV i.V. §§ 17 ff. Außenwirtschaftsgesetz (AWG). Hierbei handelt es sich um Verstöße gegen EU-Sanktionsverordnungen, wobei ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Verbote und Genehmigungspflicht nach § 18 Abs. 1 AWG mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, bei besonders schweren Fällen gem. §18 Abs. 7,8 mit einer erhöhten Mindeststrafe von einem bzw. zwei Jahren Freiheitsstrafe bestraft wird. §17 Abs. 1 Nr. 2 AWG sieht für die Zuwiderhandlung gegen eine Rechtsverordnung nach § 4 Abs. 1 AWG, die der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient, Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren vor.
Für den Verstoß gegen die Verpflichtung nach Art. 12g bzw. Art. 12ga der VO 833/2014 (No-Russia-Clause) oder nach Art. 8g VO 765/2006 (No-Belarus-Clause) existiert (im deutschen Recht!) bislang keine eigene Bußgeld- oder Strafnorm. Jedoch sind die Regelungen in Art. 12g und 12ga VO 833/2014 sowie Art. 8a VO 765/2006 als gesetzlich normierte Sorgfaltspflichten zu qualifizieren: ein Verstoß gegen die Vorgabe, eine entsprechende Klausel zu vereinbaren, ist für sich genommen nicht ahndbar; kommt es jedoch zu einem objektiven Verstoß gegen die (Ausfuhr-)Verbote der VO 833/2014 und 765/2006, wird alleine aufgrund der unterlassenen Vereinbarung einer angemessenen und wirksamen „No Russia“/“No Belarus“ Clause ein Verschuldung auf Seiten des Lieferanten vermutet.
Zudem ist damit zu rechnen, dass Verstöße gegen die Verpflichtung, eine NRB Clause aufzunehmen, in sehr naher Zukunft im deutschen Recht als Ordnungswidrigkeiten normiert werden und auch neue Straftatbestände eingeführt werden. Auch darf nicht aus den Augen verloren werden, dass auch andere wichtige Handelspartner wie USA, Großbritannien und Japan eine ähnliche Verpflichtung zur Vereinbarung einer NRB Clause kennen und die Verletzung dieser Verpflichtung möglicherweise bereits jetzt oder in absehbarer Zukunft mit strafrechtlichen Sanktionen bedrohen.
International tätige Unternehmen sollten sich daher nicht auf die derzeit noch bestehende Strafbarkeitslücke im deutschen Recht verlassen, sondern bereits jetzt entsprechende Klauseln in die Vertragswerke implementieren – soweit möglich auch rückwirkend. Hierauf haben die Geschäftsleiter hinzuwirken und die notwendigen firmeninternen Policies in das bestehende Compliance-Management-System aufzunehmen. Zudem sollten auch die Aufsichtsorgane der Gesellschaften (Aufsichtsrat, Beirat) die oben skizzierte Problematik im Blick haben, an die Geschäftsleitung adressieren, dokumentieren und zumindest stichprobenartig überprüfen, um sich nicht ggfs. einer persönlichen Haftung wegen pflichtwidrigen Unterlassens auszusetzen.
- Nächste Schritte und Praxistipps
Um rechtliche Risiken zu minimieren, empfehlen wir folgende allgemeine Schritte:
- Überprüfung und Anpassung Ihrer Verträge: Stellen Sie sicher, dass alle relevanten Verträge eine spezifisch formulierte NRB Clause enthalten. Das gilt auch für ausländische Tochtergesellschaften, wenn das Risiko einer Zurechnung besteht. Ein bloßer Verweis auf den eigenen Code of Conduct, der z.B. generell die Einhaltung von Sanktionsrecht fordert, reicht nicht aus.
- Sorgfältige Formulierung der Klausel: Beachten Sie bei der Vertragsgestaltung die rechtlichen Vorgaben (z.B. deutsches AGB-Recht), um die Wirksamkeit der Klausel zu gewährleisten. Die NRB Clause muss sowohl die Sanktionen gegen Russland als auch gegen Belarus berücksichtigen.
- Implementierung effektiver Compliance-Maßnahmen: Etablieren Sie interne Prozesse zur Überwachung und Sicherstellung der Einhaltung der Klausel. Schulen Sie auch ihre mit Verträgen befassten Mitarbeiter über die Bedeutung dieser Klauseln.
Im Speziellen möchten wir Ihnen folgende Best-Practice-Tipps an die Hand geben:
- Denken Sie global und berücksichtigen Sie die zunehmende Extraterritorialität des EU-Sanktionsregimes. Beachten Sie, dass Verstöße gegen diese EU-Regelungen auch Auswirkungen auf Geschäftsbeziehungen mit Partnern in Drittländern haben können, die ähnliche Sanktionsregime unterhalten.
- Halten Sie Ihre Lieferverträge aktuell: Ein einmal unterschriebener unkritischer Rahmenvertrag kann später, beispielsweise durch Erweiterung der Produktpalette auf kritische Güter oder durch Hinzutreten weiterer Lieferorte problematisch werden.
- Die Tendenz des EU-Gesetzgebers geht eindeutig zu noch mehr Strenge. Wenn Sie daher schon Ihre Kunden mit der Verhandlung NRB Clause behelligen müssen, formulieren Sie diese maximal breit, um nicht kurz darauf gleich wieder nachjustieren zu müssen. Wenn z.B. strengere Regelungen für den Handel mit Russland, aber (noch) nicht für Belarus gelten, sollten Sie erwarten, dass bald beide Länder gleich streng sanktioniert werden.
- An das EU-Sanktionsregime müssen sich Unternehmen ohnehin halten. Die NRB Clause hilft ihnen dabei, ein erhöhtes Problembewusstsein zu schaffen.
- Falls Ihr Liefervertrag deutschem Recht unterliegt, berücksichtigen Sie die speziellen Anforderungen des deutschen AGB-Rechts, um nicht die Unwirksamkeit der NRB Clause zu riskieren.
- Schicken Sie Ihrem Kunden die NRB Clause nicht als editierbares Word-Dokument, sondern z.B. als PDF, das elektronisch (mit DocuSign o.ä.) unterschrieben werden kann, damit der Kunde gar nicht in Versuchung kommt, am vorgegebenen Text Änderungen zu verlangen.
- Nehmen Sie immer Bezug auf den konkret betroffenen Liefervertrag, vermeiden Sie Blanko-Vereinbarungen für alle potenziell betroffenen Verträge. Zweiseitig unterschriebene NRB Clauses sind einer einseitigen Zusage des Kunden vorzuziehen.
- Übernehmen Sie die Formulierungen aus der EU-Musterklausel möglichst wortgleich, ergänzt um die in Art. 8a VO 765/2006 und Art. 12ga VO 833/2014 niedergelegten Verpflichtungen.
- Arbeiten Sie mit einem erfahrenen rechtlichen Sparringspartner zusammen, der Ihnen idealerweise perfekt formulierte NRB Clauses für den jeweiligen Einsatzzweck zur Verfügung stellen kann und solche Klauseln bereits mit anspruchsvollen Kunden ausverhandelt hat.
- Was tun, wenn Ihr Vertragspartner nicht kooperiert?
Falls Ihr Kunde sich weigert, Ihre NRB Clause zu akzeptieren, können folgende Argumente hilfreich sein:
- Gesetzliche Verpflichtung: Die Aufnahme der Klausel ist eine gesetzliche Vorgabe, die beide Seiten schützen soll. Die Klausel bildet nur das ab, was gesetzlich ohnehin verpflichtend ist.
- Standardpraxis: Oft hat der Kunde bereits ähnliche Schreiben von seinen anderen Lieferanten erhalten und die NRB Clauses bereits unterschrieben. Fragen Sie den Kunden, wie er in anderen Fällen verfahren ist.
- Auch der Kunde hat Kunden: Fragen Sie den Kunden, wie er gegenüber seinen Endkunden mit der Problematik des Sanktionsrechts und der NRB Clause umgeht.
- Compliance-Pflichten des Kunden: In vielen Fällen hat sich Ihr Kunde einem öffentlich einsehbaren Code of Conduct unterworfen, der auch zur Einhaltung von Sanktionsregeln verpflichtet.
- Reputationsrisiko: Ein Verstoß gegen die Sanktionen kann die Reputation beider Seiten erheblich beschädigen.
- Zukunftssicherheit: Die Einhaltung der Sanktionen sichert eine fortlaufende und vertrauensvolle Geschäftsbeziehung.
Unternehmen sollten alle Schritte zur Einhaltung der neuen Regelungen sorgfältig dokumentieren, um im Falle einer Überprüfung ihre Bemühungen nachweisen zu können. Letztlich erwartet der EU-Gesetzgeber sogar, dass Unternehmen Geschäftsbeziehungen zu Kunden einstellen, die die NRB Clause trotz bestehender Verpflichtung nicht vereinbaren wollen.
- Schlussfolgerung
Die Umsetzung dieser neuen Regelungen ist zeitkritisch und erfordert unmittelbares Handeln seitens der betroffenen Unternehmen. Wir unterstützen Sie gern bei der Umsetzung dieser Anforderungen und stehen Ihnen für weitere Beratungen zur Verfügung.
Bitte zögern Sie nicht, uns bei Fragen oder für weitere Informationen zu kontaktieren.
Mit freundlichen Grüßen,